Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

Dmitri Schostakowitsch und Chefdirigent Jewgeni Mrawinsky mit den evakuierten Leningrader Philharmonikern bei Proben für die Sinfonie Nr. 7 in Nowosibirsk. Foto: DSCH Publishers


3. Faschismus und Krieg

Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion. Schostakowitschs Heimatstadt St. Petersburg (damals hieß sie Leningrad) wurde umzingelt und für 870 Tage vom Rest des Landes abgeriegelt. Im Vorort Puschkin wurden gleich am ersten Tag 1500 Juden ermordet und 6000 weitere Bürger erschossen, 18000 zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Die Nazis wollten die Stadt gar nicht erobern, sondern sich ihrer Bevölkerung durch Bomben, Hunger und Frost entledigen: Eine Million Menschen starben so auf elende Weise. Allein auf dem Piskarjow-Friedhof liegen 470 000 Opfer der Blockade. Die Dichterin Anna Achmatowa sagte im privaten Kreis: „Ich hasse, ich hasse Hitler, ich hasse Stalin, ich hasse die, die Bomben auf Leningrad und auf Berlin werfen, alle, die diesen schändlichen, schrecklichen Krieg führen.“

Dmitri Schostakowitsch saß mit seiner Familie in der belagerten Stadt fest und arbeitete an seiner Siebten Sinfonie. Auf dem Titel des US-amerikanischen Magazins „Time“ erschien er in Feuerwehruniform, während er auf dem Dach des Konservatoriums Brandwache schob. Und auch seine Sinfonie sollte vom Widerstandswillen der Stadt künden, wie er in Interviews versprach. Noch fehlte das Finale. Das konnte er erst vollenden, nachdem er nach Samara an der Wolga (damals Kuibyschew) evakuiert worden war. Währenddessen erhielt er von seiner Mutter und seinen Schwestern fürchterliche Nachrichten aus der Stadt, in der man Hunde und Katzen zu essen begonnen hatte.

Selbstverständlich hasste auch Schostakowitsch die Aggressoren und wollte alles tun, um den Widerstand zu unterstützen. Ob er aber so weit ging, den Nazis einen prominenten Platz in seiner Sinfonie einzuräumen? Sicherlich dachte er genauso wie Anna Achmatowa, die seine Musik bewunderte. In Kriegszeiten war es aber ausgeschlossen, das offen auszusprechen. Folglich widersprach er der Interpretation nicht, dass der Ausbruch von Rohheit und Gewalt in der Marschepisode im ersten Satz der Siebten den Einmarsch der deutschen Armee symbolisiere. So wurde die Musik auch in den USA verstanden: als Manifest gegen den Faschismus. Nur modernistische Komponisten wie Arnold Schönberg saßen kopfschüttelnd vor dem Radioapparat und klassifizierten das Ganze als Schlachtenmusik.

Von da an war Schostakowitschs Ruf in progressiven westlichen Kreisen ruiniert. Das Konzertpublikum hingegen liebte seine Musik. Musiker und Dirigenten auch. Diese Musik erreichte nicht nur ein spezialisiertes Publikum, sondern alle Musikfreunde. Sie ist ein Echo ihrer Zeit, ein Seismogramm der Abgründe des 20. Jahrhunderts. Und der Menschen, die trotz alledem in dieser Zeit leben, leiden und lieben mussten. Und Millionen von Toten zu beklagen hatten.

So schrieb Schostakowitsch Propagandawerke für die Front und tragische Sinfonien für den Konzertsaal. Und Kammermusik für sich selbst. 1943 beispielsweise die Sechs Lieder auf englische Texte, die er seinen fünf besten Freunden und seiner Frau widmete. Texte aus fernen Zeiten und fremden Ländern, das konnten die Funktionäre akzeptieren. Dass diese Texte kriegführende Könige verhöhnen, den Galgenhumor des gefangenen Rebellen preisen und – mit Shakespeares berühmtem Sonett Nr. 66 – die falsche Einrichtung der Welt beklagen, das bekamen sie nicht mit.

Bernd Feuchtner

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