Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

2. Antwort eines Sowjetkünstlers auf Kritik

Im Jahr 1932 ließ Stalin die Künstlerverbände gleichschalten: Nur wer im Verband seiner Sparte organisiert war, wurde gedruckt, ausgestellt, gespielt. Aber doch nicht jeder: Jetzt wurden auch Kunstwerke als Klassenverrat und Künstler als Volksfeinde angeprangert. Als der Bannstrahl der Partei 1935 die Erste Sinfonie seines Freundes Gabriel Popow traf, lachte Schostakowitsch im daraufhin ausbrechenden Streit noch ironisch: „Ich mag das, es reduziert die Fettschicht,“ schrieb er in einem Brief an Iwan Sollertinski. Doch schon im nächsten Jahr traf es ihn selbst – die Parteizeitung Prawda verriss im Januar 1936 seine Oper „Lady Macbeth“ unter der Überschrift „Chaos statt Musik“. Nun war an die Uraufführung seiner 4. Sinfonie gar nicht mehr zu denken. Sie wurde ebenso verboten wie die beiden erfolgreichen Opern. Ein Jahr später präsentierte er seine 5. Sinfonie als „Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechtfertigte Kritik“.

Natürlich stammt dieser Titel nicht vom Komponisten. Er hatte diesen Ausdruck in einer Zeitung gelesen und dankbar übernommen. Unglücklicherweise blieb dieses Etikett aber an der Fünften hängen und wird ihr bis heute immer wieder angeheftet. Dadurch verfestigte sich der Eindruck, Schostakowitsch habe mit der Fünften seinen Kotau vor Stalin gemacht und so sein Überleben und das seiner Familie gesichert. Und tatsächlich tritt der Bürgerschreck auf einmal in der Maske des Klassizisten auf. Die Fünfte Sinfonie hat ordentliche vier Sätze, folgt dem Beethoven-Schema und wirkt überaus ernsthaft. Viele weinten im Konzert: Auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors traf diese Musik das philharmonische Publikum ins Herz.

Wer Ohren hat, wird an mehreren Stellen stutzig. Da gibt es schroffe Zusammenbrüche, wo man den heldenhaften Aufschwung erwartet, klobige Tänze und schmierige Kantilenen, wo frohes Volksleben gemeint sein sollte, unendliche Trauer im langsamen Satz und eine Schluss-Apotheose, bei der Pauken und Trompeten alles totschlagen. Wer ein Herz hat, fühlt die Verzweiflung, die dahintersteckt. Wer Verstand hat, sieht die Parallelen zur verbotenen Vierten: Schostakowitsch versteckte sich im Stalinismus zwar hinter einer Maske, doch sagte er eigentlich das Gleiche in anderer Form.

Dmitri Schostakowitsch 1940, im Jahr der Entstehung seines Klavierquintetts, mit dem Glasunow-Quartett. Foto: DSCH-Publishers

Geld konnte er mit der Musik zu den Propagandafilmen seiner Studienfreunde verdienen. Aber auch seine neuen klassizistischen Kompositionen wurden von den Kulturbürokraten wohlwollend aufgenommen. Im Jahr 1938 schrieb er sogar ein recht heiteres Streichquartett; diese Gattung galt eigentlich als der Inbegriff des bürgerlichen Individualismus, doch andererseits weckte sie nicht so viel Aufmerksamkeit wie Werke für den großen Konzertsaal. Für das Klavierquintett, das er 1940 für sich und das Beethoven-Quartett schrieb, erhielt er sogar den Stalinpreis 1. Klasse, was nicht nur Anerkennung, sondern auch einen sehr hohen Geldbetrag bedeutete. Da die von den Verbänden anerkannten Künstler auch die besseren Versorgungsmöglichkeiten für Funktionäre in Anspruch nehmen und die speziellen Erholungsheime der staatlichen Einrichtungen nutzen konnten, führte Schostakowitsch nun ein privilegiertes Leben.

Als sein Freund Iwan Sollertinski 1944 plötzlich an einem Herzschlag starb, widmete Schostakowitsch ihm ein Klaviertrio, wie das unter russischen Komponisten der Brauch war, seit Tschaikowski sein großes Trio für Nikolai Rubinstein komponiert hatte. Hier war im langsamen Satz eine Form zu erleben, die für ihn immer wichtiger werden sollte: die statische Passacaglia mit ihrem stets wiederholten Bassthema, Inbegriff des Verhängnisses. Und im Finale war plötzlich ein neuer Ton zu hören, der ebenfalls tiefe Spuren in seiner Musik hinterließ. Hier imitierte Schostakowitsch jüdische Folklore. Angesichts der Judenmorde der Nazis und des auch von Stalin geförderten Antisemitismus solidarisierte der Komponist sich mit den Opfern. Auf der musikalischen Seite faszinierte ihn an der jüdischen Musik, dass sie das Lachen durch Tränen hindurch formulieren und damit das Überleben in jahrhundertelanger Unterdrückung zum Ausdruck bringt.

Bernd Feuchtner
zurück

E-Mail