Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

Nachrichten aus dem Jahr 2025


Da war die Schostakowitsch-Welt noch (halbwegs) in Ordnung. Das ehemalige Gästehaus des DDR-Ministerrats in Gohrisch im Januar 2005. Schostakowitsch komponierte hier sein achtes Streichquartett. Alle Fotos: Bernd Feuchtner


Das Schostakowitschhaus in Gohrisch verfällt

„Und niemand protestiert!“

Die Situation heute. Der Verfall ist unübersehbar.

Im Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz verfällt das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Gästehaus des Ministerrates der DDR zusehends. Dort wo einst wichtige innen- und außenpolitische Konferenzen stattfanden, Oberhäupter befreundeter Staaten wie der nordkoreanische Diktator Kim Il Sung longierten und namhafte Künstler und Wissenschaftler aus dem sozialistischen In- und Ausland Erholung fanden, nagt nicht nur der Zahn der Zeit, sondern auch die offenkundige Interessenlosigkeit der politisch Verantwortlichen. Dmitri Schostakowitsch, der sich zweimal (1960 und 1972) in Gohrisch aufhielt, komponierte hier bei seinem ersten Besuch eines seiner bedeutendsten und persönlichsten Werke, sein achtes Streichquartett c-Moll op. 110. Vom einstigen Glanz der geschichtsträchtigen Stätte, damals attraktives Vorzeigeobjekt sozialistischer Innen- und Außenarchitektur, ist wenig geblieben. Bernd Feuchter, Präsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft, dessen 2005 veröffentlichte Reportage „Nutzlose Musik – Als Dmitri Schostakowitsch es sich in der Sächsischen Schweiz gut gehen ließ“ eine Art Initialzündung für die seit 2010 alljährlich stattfindenden Schostakowitsch Tage Gohrisch beigemessen wird, zeigt sich erschrocken über den baulichen Zustand des Ensembles und schlägt nun in einem offenen Brief Alarm:


„Liebe Freundinnen und Freunde der Musik von Schostakowitsch,
Die Schostakowitwsch-Tage waren wieder wunderbar und brachten auch neue Einsichten. Als ich eine Führung für die Gruppe Dortmunder Studenten durch das Gelände des Hotels Albrechtshof machte, bin ich schwer erschrocken. Im Januar 2005, als ich zum ersten Mal dort war, um jene Reportage zu schreiben, war noch alles intakt, innen wie außen. Es standen noch der Baum und die Bank, auf der Schostakowitsch sein 8. Streichquartett schrieb. Das Zimmer war intakt, die Fassade ebenso. Jetzt aber waren Baum und Bank verschwunden. Der Baumstumpf liegt noch dekorativ herum, der Teich ist zugewachsen und mit Nippes zugestellt, zwei hässliche Plastikbänke sollen die hübsche alte Bank ersetzen. Am schlimmsten aber wurde dem Schostakowitsch-Haus mitgespielt. Fenster wurden zugemauert, das Dach wird nicht repariert, es dringt Wasser ein. Ganz offensichtlich will der Pächter das Haus abrissreif machen. Während Leipzig 2025 Schostakowitsch mit einem Riesenfest feiert, verschläft Dresden den Zusammenbruch des einzigen Schostakowitschortes außerhalb der ehemaligen Sowjetunion! Und niemand protestiert!“

Trauriger Anblick: Zugemauerte Fenster, das Dach marode. Wasser dringt in das unter Denkmalschutz stehende Gebäude.

 

Die Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft trauert um ihren Präsidenten

Dr. Bernd Feuchtner verstorben

Bernd Feuchtner. Foto: © Nico Lindenthal

Die Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft trauert um ihren Präsidenten Bernd Feuchtner, der im Alter von 75 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben ist.

Der 1949 geborene Publizist, Operndirektor und Dramaturg trat im September 2018 die Nachfolge des polnischen Komponisten und Musikpädagogen Krzysztof Meyer an der Spitze unserer Gesellschaft an. Bernd Feuchtner gilt seit langem als einer der profiliertesten Kenner der Musik Dmitri Schostakowitschs weltweit. In seiner 1986 erschienenen Schostakowitsch-Monografie „… Und Kunst geknebelt von der groben Macht“ beschäftigte er sich erstmals umfassend mit dem Thema, wie der sowjetische Komponist auf den großen politischen Druck, der ihn zeitlebens drangsalierte, künstlerisch reagierte.

Bernd hat die Arbeit unserer Gesellschaft nachhaltig geprägt. Sein besonderes Augenmerk galt dabei unseren Musikwissenschaftlichen Symposien, die sich unter seiner Ägide zu einem vielbeachteten und festen Bestandteil der internationalen Schostakowitsch-Forschung entwickelt haben. Aber Bernd war nicht nur ein nahezu unerschöpflicher Ideengeber und Motivator, sondern ein wunderbarer Mensch und uns allen ein guter Freund.

Die Schostakowitsch-Welt ist durch seinen Tod ärmer geworden. Die Lücke, die er hinterlässt, wird schwer zu schließen sein.
Das 22. Musikwissenschaftliche Symposium unserer Gesellschaft, das am 19. und 20. Mai 2025 in Leipzig stattfinden wird, ist seinem Andenken gewidmet.

Der Vorstand der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft e.V.
Elisabeth von Leliwa, Ronald Freytag, Reimar Westendorf, Karlheinz Schiedel

 

 

 22. Musikwissenschaftliches Symposium am 19. und 20. Mai 2025 in Leipzig

Schostakowitschs komponierende Kollegen

 Eine Revision zum 50. Todestag
von Bernd Feuchtner

„Warum kannten wir das nicht!“ fragten verblüffte Musikkritiker, Musikwissenschaftler und Intendanten, als Mieczysław Weinbergs Oper Die Passagierin von 1968 im Jahr 2010 mit größtem Erfolg uraufgeführt wurde. Ja, warum kannten sie Weinbergs Musik nicht? Weil sie Weinberg als Schostakowitsch-Schüler oder gar als Schostakowitsch-Kopie abgetan hatten, ohne sich überhaupt auf seine Musik einzulassen.

Komponistenkollegen: Wladimir Fere, Wano Muradeli und Dmitri Schostakowitsch bei der "Woche der sowjetischen Musik" in Kirgisien im Sommer 1964. Foto: DSCH-Journal

Wie Weinberg geistern viele Komponistennamen durch die Schostakowitsch-Literatur. Meist bleiben sie Fußnoten. Oder werden diffamiert als „Mitläufer“, „Karrieristen“, „Folkloristen“, „Konservative“, „Gebrochene“, bei denen das Hinsehen sich nicht lohne. Das dient auch der Legendenbildung: Angeblich statuierte die Sowjetmacht 1936 das erste Exempel gegen einen Komponisten an Schostakowitschs Lady Macbeth und seiner Vierten Sinfonie – dabei war dessen Freund Gawriil Popow der erste, dessen Erste Sinfonie 1935 von diesem Schlag getroffen wurde. „Warum haben wir das nicht gekannt,“ werden Musikkritiker, Musikwissenschaftler und Intendanten fragen – wenn die Programmverantwortlichen denn Popows Sinfonie einmal aufs Podium ließen.

Das Bild der komponierenden Zeitgenossen Schostakowitschs scheint festzustehen. Im Jahr von dessen 50. Todestag lohnt sich aber ein neuer Blick auf seine Zeitgenossen und unsere Urteile über sie. Gibt es da etwas zu revidieren? Oder gar zu entdecken? Gab es – wie im Westen – vielleicht auch im Sowjetbereich ganz unterschiedliche Stile, die sich auch durch die Politik nicht ausradieren ließen? Welche sind das? Wir wissen es nicht, denn die Forschung kreist nur um Schostakowitsch.

Endlich, muss man sagen, denn vor dem Erscheinen von Wolkows „Memoiren“ 1979 interessierten sich Musikkritiker, Musikwissenschaftler und Intendanten kaum für ihn. Nur seine populärsten Sinfonien Nr. 1, 5, 7, 9 und 10 tauchten im Konzert auf. Beim Publikum waren sie sehr beliebt, und das wurde zu jener Zeit nicht als positives Zeichen gewertet. Zu Schostakowitschs 50. Todestag 2025 wird es nun Festivals, Konzerte, Opernaufführungen und wissenschaftliche Aktivitäten geben. Zu  Popows 50. Todestag rührte sich 2022 – nichts. Er war Schostakowitschs lebenslanger Freund. Schostakowitsch kannte sie alle, seine komponierenden Kollegen. Und sie kannten alle ihn, verehrten ihn, rieben sich an ihm, verdammten ihn. Kalt ließ er keinen, aber auch er hatte über jeden seine Meinung.

Die Liste seiner Kollegen, die wie er im Bereich der Sowjetmacht lebten und arbeiteten ist lang. Wir kennen die Namen, aber kennen wir auch die Musik? Können wir Bunin von Lokschin, Kantscheli von Karamanow oder gar Cikker von Wladigerow unterscheiden? Geschweige denn die Qualität ihrer Musik einschätzen? Sind wir uns der ganzen Bandbreite kompositorischer Handschriften bewusst? Fünfzig Jahre nach Schostakowitschs Tod ist es Zeit für eine Revision unseres Bildes dieser Klanglandschaften.
Das 22. Musikwissenschaftliche Symposium der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft e.V., das im Rahmen des großen Schostakowitsch-Festivals des Gewandhaus Orchesters stattfindet, wird sich am 19. und 20. Mai 2025 im Probensaal der Hochschule für Musik und Theater, Grassistraße 8 in Leipzig intensiv mit diesem Themenkreis beschäftigen. Mehr:

Musikalisches Großereignis zum 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch

Schostakowitsch Festival Leipzig 2025

Vom 15. Mai bis zum 1. Juni 2025 lädt das Gewandhaus zu einer der umfangreichsten Werkschauen von Dmitri Schostakowitsch anlässlich seines 50. Todestages nach Leipzig ein. Unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons und Anna Rakitina interpretieren das Gewandhaus Orchester, das Boston Symphony Orchestra und das eigens für das Festival gegründete Festivalorchester – bestehend aus Mitgliedern der Mendelssohn-Orchesterakademie und des Tanglewood Music Center Orchestra – alle Sinfonien und Solo-Konzerte Dmitri Schostakowitschs. Eine handverlesene Riege von Weltklassekünstlerinnen und -künstlern, darunter Daniil Trifonov, Nikolaj Szeps-Znaider und Baiba Skride, gestaltet die umfangreiche Kammermusikreihe. Das Quatuor Danel wird sämtliche Streichquartette des großen Russen spielen. Zwei Aufführungen der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Oper Leipzig unter Leitung von Andris Nelsons runden das umfangreiche Festivalprogramm ab.


Zudem wird die Deutsche Schostakowitsch-Gesellschaft im Rahmen dieses musikalischen Großereignisses, am 19. und 20. Mai 2025  ihr 22. Musikwissenschaftliches Symposium abhalten.


Eliot Quartett spielt sämtliche Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch

Konzertzyklus „DSCH & beyond“ in Frankfurt

Das Frankfurter Eliot Quartett verwirklicht zum 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch einen außergewöhnlichen Konzertzyklus, in dem es dessen sämtliche Streichquartette präsentiert, und macht sich damit selbst ein Geschenk zum zehnjährigen Jubiläum. Möglich gemacht wird das Projekt „DSCH & beyond“ von der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen und der Ernst Max von Grunelius-Stiftung als Hauptförderer. Zeit seines Lebens balancierte Dmitri Schostakowitsch auf dem gefährlichen Grat zwischen musikalischer Ausdrucksfreiheit und Treue zum Stalinistischen Regime. Während andere russische Komponisten wie Igor Strawinsky, Sergei Rachmaninow oder Sergei Prokofjew vor der Unterdrückung ins ausländische Exil flohen, blieb Schostakowitsch in der Sowjetunion und komponierte nach außen hin „staatstreue“ Werke – immer wieder gespickt mit Spitzen, die seinen Widerstand gegen das Regime für Eingeweihte demonstrierten. Innerlich war er geplagt von Zerrissenheit und Schmerz, was er vor allem auch in seinen Streichquartetten zum Ausdruck brachte.
Genau diesem Teil seines umfangreichen Schaffens widmet sich das Eliot Quartett und plant im Vorlauf zum 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch am 9. August 2025 den außergewöhnlichen Konzertzyklus „DSCH & beyond“. „Unsere Zeit wirft besonders deutlich die Frage nach der ,Freiheit/Unfreiheit’ der Kultur im politischen Kontext auf. Anlässlich des 50. Todestags von Dmitri Schostakowitsch rücken wir sein gesamtes Streichquartett-Oeuvre, das er während der sowjetischen Diktatur komponierte, in den Mittelpunkt unseres neuen Zyklus“, erklärt das Eliot Quartett.

Zwischen Februar 2024 und Juli 2025 präsentiert das in Frankfurt beheimatete Eliot Quartett in zwölf sehr persönlichen und konzeptuell durchdachten Konzerten Schostakowitschs 15 Streichquartette und stellt sie ausgewählten Stücken anderer Komponisten von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart über Franz Schubert bis hin zu Sofia Gubaidulina und Arvo Pärt gegenüber. Damit geht das Eliot Quartett bewusst über die Person Schostakowitschs hinaus, entfernt sich teilweise sogar von ihr, nur um sich ihr dann intensiver anzunähern. „Die Musik von Schostakowitsch, die als Chronik des 20. Jahrhunderts verstanden werden kann, wird dabei von Komponisten verschiedener Epochen umrahmt, kommentiert und beleuchtet. Für uns wird dieses einzigartige musikalische Projekt einen bedeutenden inhaltlichen Meilenstein in unserer künstlerischen Entwicklung darstellen.“ Eröffnet wird der Zyklus am 8. Februar 2024 mit Schostakowitschs erstem Streichquartett. In der zweiten Konzerthälfte ergänzt der Pianist Vadym Kholodenko die Besetzung in Schostakowitschs Klavierquintett, einem der größten Erfolge des Komponisten schon zu Lebzeiten. Am Tag nach dem Eröffnungskonzert (9. Februar) liest der polnische Komponist und Ehrenpräsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft  Krzysztof Meyer aus der Biografie, die er über seinen Freund und Kollegen Dmitri Schostakowitsch verfasst hat. Das Eliot Quartett begleitet den Abend musikalisch.

Weitere Information zum Frankfurter Konzertzyklus finden Sie hier und auf der Webseite des Eliot Quartetts.

 

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